Kapitel 1 – Cicindelae Spelunca – Teil 1
An einem Tag im Sommer hatte Lilly ihre Freundin Sœlve überredet mit ihr eine kleine Fahrradtour zu unternehmen. Sie hatten sich Proviant mitgenommen und wollten sich einen gemütlichen Ort suchen, um ein Picknick zu machen. Am Abend zuvor hatten sie sich bereits getroffen und gemeinsam einen Kuchen gebacken, der für die beiden alleine viel zu viel gewesen wäre… Wie es bei den beiden üblich war, vergaßen sie die Zeit und aus der kleinen Tour wurden schließlich einige Stunden, die sie durch die Gegend fuhren.
Ihre Tour startete wie so oft an Lillys Wohnung. Einst stand hier eine gefühlt unendlich lange Allee mit schönen alten Bäumen. Ein Kleinwüchsiger war nach einem heftigen Gewitter wie bekloppt durch die Gegend gerannt und hatte einen Baum nach dem anderen gefällt. Nur ein einziger Baum hatte diesen Tag mehr oder weniger überlebt. Beim Gedanken an die einst wirklich wunderschöne Straße wurden die beiden Freundinnen immer wieder ein wenig traurig. Nach einigen Tagen hatten sie sich ein Herz genommen und kleine Bäume angepflanzt. Vielleicht würden diese ja auch nach einiger Zeit wieder zu stattlichen Beschützern heranwachsen.
Sie hatten sich zwar vorher auf einer Karte angeschaut, wohin sie ungefähr wollten, hatten aber Lust noch ein wenig die Stadt zu erkunden. So fuhren sie kreuz und quer durch die Straßen und erreichten nach einiger Zeit den großen Fluss, der die Stadt in der Mitte teilte. Gemütlich fuhren sie die Promenade entlang und fuhren an der Brücke vorbei, über die sie bereits einmal auf die andere Seite des Flusses gekommen waren. Schließlich wurden die Häuser auf dieser Seite des Flusses immer vereinzelter und sie verließen endgültig die Großstadt. Mit den letzten Häusern endete zu ihrem Bedauern auch die so gut ausgebaute Promenade, die sich in zwei kleine, nicht so gut ausgebaute Feldwege teilte. Sie folgten ihren Nasen und bogen einfach ab und schon kurze Zeit später war der Fluss hinter ihnen verschwunden. Vereinzelt kamen ihnen Fußgänger und andere Fahrradfahrer entgegen oder überholten sie gar. Da das Wetter so schön war, wollten sie sich auch definitiv von niemanden hetzen lassen. Als irgendwann ein junger Mann auf seinem Rennrad das dritte Mal an ihnen vorbeifuhr und ihnen zurief, dass er sie nun schon wieder überholt hatte, mussten die beiden einfach nur lachen. Irritiert fuhr er schließlich weiter und verschwand hinter dem nächsten Hügel.
Der Weg schlängelte sich durch Felder und kleine Wälder, vorbei an kleinen Koppeln mit Pferden oder Kühen und einmal sogar pechschwarzen Schafen. Mehrfach gabelte sich der Weg, bis sie schließlich an einem Schild ankamen, das den Weg in Richtung der Kalkgrube zeigte. Laut dem Schild sollte es auch nicht mehr so weit sein.
„Ich glaube hier müssen wir rein“, rief Lilly Sœlve zu, als sie an eine weitere kleine Abzweigung kamen. Den Weg konnt man eigentlich nur als festgetretenen Sand bezichen, doch mit ihren Fahrrädern war das kein Problem.
Auf der einen Seite des Weges erstreckte sich ein großes Feld, auf dem einige Kühe friedlich grasten, und auf der anderen Seite erstreckte sich ein dichter Wald.
Einige Zeit folgten sie dem Weg, bis sich auf einmal eine kleine Lichtung im Dickicht auftat. Und da bestätigte sich, was ihr Gefühl ihnen schon länger sagte… sie waren eine Straße zu früh abgebogen. Dafür wurden sie jedoch mit einer wunderschönen Aussicht belohnt. Die kleine Lichtung war angelegt worden, um eine gemütliche Pause machen zu können. Sie stiegen von ihren Rädern, um sich in Ruhe umschauen zu können.
Zwei gemütliche Bänke standen auf der künstlichen Lichtung und luden zum Verweilen ein. Dank dem recht hohen und stabil wirkenden Holzzaun konnte man auch nicht aus Versehen in die Tiefe stürzen. Und es ging mindestens 40 Meter hinab. Die Aussicht war einfach nur herrlich, da sich der komplette Steinbruch vor ihnen erstreckte. Zu ihrer großen Freude war nicht eine einzige Menschenseele zu sehen. Ganz gemütlich lehnten sie sich an den Zaun und alberten etwas herum, bis sie dann weiter fuhren. Der Weg teilte sich wieder. Geradeaus ging der Weg genau so weiter wie schon die ganze Strecke, aber nach links führte ein schmaler Pfad in den Wald hinein. Sie überlegten nicht lange und bogen einfach auf den Pfad ein. Dieser war leider so schmal, dass sie nicht mehr nebeneinander, sondern nur noch hintereinanderfahren konnten. Immer wieder waren einige Zweige im Weg und sie mussten sich darunter hinweg ducken.
Der Pfad war zwar dicht gesäumt mit Bäumen, aber an vereinzelten Stellen lichteten sich die Baumgruppen und boten ihnen einen tollen Blick auf den Steinbruch. Lilly rief auf einmal, dass sie ein Reh gesehen hätte. Leider was Sœlve zu langsam und es war verschwunden bevor sie es sehen konnte. Es wunderte Sœlve aber auch nicht, dass Lilly mit ihren Vampiraugen deutlich mehr sehen konnte. Immer wenn sie ihre Kräfte aktivierte, bekamen ihre Augen das Aussehen von violetten Katzenaugen, welche Sœlve so sehr liebte. Jedes einzelne Mal, wenn Lilly dies tat, hätte sie in diesen Augen versinken können. Doch während der Fahrt konnte sie es leider nicht riskieren länger neben ihrer Freundin zu fahren und ihr in die Augen zu schauen, da der Weg einfach zu uneben war. Je weiter sie fuhren, desto holpriger wurde der Weg. Es schien so, als ob die Strecke nicht so oft befahren wurde.
Während sie dem Weg folgten, erstreckte sich auf einmal eine riesige Blumenwiese zu beiden Seiten des Weges, deren weiße Blumen ihnen bis zur Brust gingen. Ein zarter, süßlicher Geruch erfüllte das Feld, das im Lichte der Sonne erstrahlte. Wieder gabelte sich der Weg, wobei einer der beiden Wege genau durch das Feld führte. Ohne zu überlegen fuhren die beiden in das Feld hinein. Die Blumen waren hier etwas höher als am Weg, auf dem sie vorhin noch waren. Von weitem hätte man höchstens die roten und violetten Haare der Mädchen sehen können.
Das Blumenmeer erstreckte sich immer weiter und der Geruch war nun allgegenwärtig bis sie einen kleinen Holzweg erreichten, der zwischen großen Bäumen befestigt war. Dieser kleine Holzweg war an der Seite mit einem Holzzaun abgesichert, da er direkt an der höchsten Stelle des Steinbruches vorbeiführte.