März 8 2020

Kapitel 1 – Rot, die Nacht – Teil 1

Unruhig bewegte sich Sœlve im Schlaf in ihrem Bett und hatte sich schon aus ihrer Decke heraus gestrampelt. Schon seit Ewigkeiten hatte sie keine so schlimmen Träume mehr gehabt. Irgendetwas sehr Gewaltiges hatte sie verfolgt, vor dem sie geflüchtet war. Was es genau war, das wusste sie nicht, aber es war verdammt groß gewesen. Angefangen hatte es damit, dass sie an einem Fluss saß und es auf einmal dunkel wurde. Während sie mit ihren Füßen im Wasser planschte, spürte sie plötzlich das bedrohliche Wesen hinter sich, sprang auf, und lief angsterfüllt los. Flackerndes, rotgelbes Licht hinter ihr ließ Schatten gespenstisch vor ihr auflodern, so dass sie es nicht wagte während des Laufens einen Blick nach hinten zu werfen.

Schweißgebadet wachte sie auf und wischte sich mit ihrem Handrücken eine rote Strähne aus dem Gesicht. Sanft schien das Licht des Vollmondes durch das Fenster auf ihre Decke. Ein kurzer Blick auf ihr Handy verriet ihr, dass es erst kurz nach Mitternacht war und sie noch nicht lange geschlafen hatte. Dennoch war sie nun hellwach. Obwohl der Traum schon zu verblassen begann, blieb ein mulmiges Gefühl in ihrem Bauch zurück.

Erst jetzt realisierte sie wieder, dass sie gar nicht in ihrem eigenen Bett war. Während eines Praktikums war sie in einem Hotel untergebracht worden. Sie freute sich jetzt schon auf ihre Freundinnen Mia, die sie am Flughafen abholen wollte, und Lilly, die sie wahrscheinlich in einigen Tagen wiedersehen würde. Bei den Gedanken an die beiden fühlte sie sich sehr alleine. Morgen Nachmittag ging ihr Flug nach Hause und spät abends würde sie dann endlich wieder festen Boden unter ihren Füßen spüren. Für Sœlve war es jedes Mal ein tolles Gefühl wenn das Flugzeug durch die Beschleunigung vom Boden abhob und sich ein tonnenschweres Stück Metall in die Luft erhob. Was außer ihren Freundinnen niemand wusste, war, dass sie auch aus eigener Kraft kleine Strecken fliegen konnte. Als sie noch jung war, gab es einen Zeitpunkt, an dem ihr vorheriges Leben wie ausgelöscht war. Seitdem war einiges passiert, was wahrscheinlich niemand glauben würde. Dazu gehörte auch, dass ein grünes Licht aus ihrem Rücken erscheinen konnte, das sie als Flügel oder als Schutzschild benutzen konnte. Doch leider wäre es viel zu auffällig lange Strecken zu fliegen; auch wenn sie das Gefühl des Windes auf ihrem Körper sehr liebte.

Trotzdem war sie auf dem Hinflug ein wenig erschrocken über das Flugzeug. Auch wenn sie schon unzählige Male in ihrem Leben geflogen war, war eine Propellermaschine, mit ihren gefühlten 100 Jahren auf dem Buckel, dann doch noch neu. Zum ersten Mal war ihr in einem Flugzeug ein wenig komisch zu Mute, und es verwunderte sie sehr, dass solche Maschinen überhaupt noch fliegen durften. Doch als die Propeller starteten und das Geräusch und das Vibrieren der Propeller anfing, das die ganze Maschine beim Start erfüllte, war sie hellauf begeistert.

Jetzt wo sie an den Flug dachte, vermisste sie ihre Freundin Lilly mit ihren außergewöhnlichen Augen. Wenn diese ganz normal unterwegs war, hätte niemand gedacht, dass dieses Himmelblau ihrer Augen nicht die einzige Farbe war. Innerhalb von Sekundenbruchteilen konnten sie zu violetten Katzenaugen werden. Meist geschah dies, wenn sie auf Jagd war, wie sie es selbst jedes Mal zum Spaß bezeichnete. Aber seitdem Lilly einmal festgestellt hatte, dass Sœlve sich regelrecht in ihren Augen verlor, machte sie es von Zeit zu Zeit um Sœlve zu ärgern oder ihr etwas Gutes zu tun.

Noch nie hatte Sœlve ihre Freundin bei der Jagd begleitet und wollte auch nicht so wirklich wissen, was dabei geschah. Lilly musste in einigen Abständen eine etwas ungewöhnliche Mahlzeit zu sich nehmen. Wie auch die Sache mit ihren Augen hätte niemand angenommen, dass dieses scheinbar unschuldige, schlanke Mädchen mit ihren violetten Haaren eine Art moderner Vampir war und sich problemlos auch im Sonnenlicht aufhalten konnte.

Da ihre Gedanken nun endgültig soweit abgeschweift waren, dass sie an Schlaf nicht mehr denken konnte und sie sich auch nach dem Albtraum klebrig fühlte, beschloss sie aufzustehen und eine Dusche zu nehmen.

Mühsam suchte sie nach dem Lichtschalter, bevor sie aufstand und müde in das Badezimmer schwankte. Das Zimmer war für ein Hotelzimmer recht karg eingerichtet. Nur ein Schreibtisch und zwei, nicht wirklich gemütliche, Stühle befanden sich in dem Raum. Über dem Tisch war ein Fernseher an der Wand befestigt, zu dem sie die Fernbedienung jedoch nicht gefunden hatte. Im Vorraum befanden sich die Tür zum Badezimmer und ein kleiner Kleiderschrank. Als sie das Zimmer das erste Mal betreten hatte, war sie verwundert, dass die Wände mit einem Teppich beklebt waren.

Das Bad selbst war winzig und die Dusche war die Engste, die sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Sie konnte sich kaum in der Kabine umdrehen. Die Haare hatte sie sich die vorherigen Tage lieber im Waschbecken gewaschen, um sich nicht unendlich verrenken zu müssen.

Sie quetschte sich in die Dusche hinein und lag wenige Minuten später frisch geduscht und nach Rosen duftend wieder im gemütlichen Bett und schlief schnell wieder ein.

Wenn sie nicht so schnell eingeschlafen wäre und vielleicht noch einen Blick aus dem Fenster geworfen hätte, wäre ihr vielleicht das rote Leuchten am Himmel aufgefallen, das im Laufe der Nacht heller wurde.

Als sie morgens vom Wecker geweckt wurde und sich ziemlich zerknautscht vorkam, war von dem Leuchten nichts mehr zu sehen und nur das Licht der Morgensonne strahlte in ihr Zimmer. Den Rest der Nacht hatte sie zwar wieder unruhig, aber ohne irgendwelche weiteren Träume geschlafen, zumindest konnte sie sich an keinen einzigen Traum erinnern.

Der angenehme Duft nach Rosen erfüllte noch den Raum und sie beschloss nicht noch einmal zu duschen, sondern sich gleich anzuziehen. Noch am Vorabend hatte sie ihren Koffer gepackt und Kleidung herausgelegt. Schnell zog sie sich an und schminkte sich im Badezimmer. Als sie fertig war schnappte sie sich ihren Koffer und verließ das Zimmer um mit dem Aufzug ins Erdgeschoss zu fahren und noch etwas zum Frühstück zu essen. Wie auch schon die letzten Tage war das Essen eher enttäuschend und so begnügte sie sich mit einem trockenen Brötchen und ein wenig Obst. 

Auch wenn ihr Bauch noch etwas knurrte, checkte sie aus dem Hotel aus und machte sich auf den Weg zu ihrer Arbeit. Sie konnte vom Hotel direkt zu dem Fluss gehen, der diese Kleinstadt teilte und an ihm entlang zur einzigen Brücke spazieren. Direkt am anderen Flussufer lag ihr Praktikumsbetrieb. Sie bedauerte, dass sie diesen malerischen Pfad heute das letzte Mal gehen würde. Wie auch schon die Tage zuvor war sie wieder die erste, die da war, musste aber nicht lange warten bis ihre Kollegin kam. 

Sie wurde herzlich mit einer festen Umarmung begrüßt. Gemeinsam betraten sie das Gebäude und gingen, wie auch die Tage davor, die steile Treppe hinauf. Als sie im obersten Stockwerk angekommen waren, grinste ihre Kollegin sie an und fragte, ob sie ihr eigentlich den Fahrstuhl gezeigt hätte. Sœlve stöhnte laut auf und beide fingen gleichzeitig an zu lachen. Zum Spaß zeigte sie ihr den Lastenaufzug, der sich am Ende des Stockwerks befand. Vorher mussten sie allerdings noch um einige Ecken um ihn zu finden. Bis jetzt war ihr gar nicht aufgefallen, dass das Gebäude deutlich verschlungener war, als sie angenommen hatte. Sie kamen an einigen Büros vorbei, deren Türen offen standen und durch die sie die Mitarbeiter sehen konnte. 


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Veröffentlicht08/03/2020 von Leah Fox in Kategorie "Die Nacht der Ætheria", "Kapitel 1 - Rot, die Nacht